Wer am besten reimt, wird Bürgermeister
Drehbuch
Schildbürgergeschichten
In der erfundenen Stadt Schilda leben die Schildbürger, merkwürdige Leute, Umstandskrämer und Einfaltspinsel, die närrisch handeln, Tölpel, die zum Beispiel das Licht in Säcken in ihr fensterloses Rathaus tragen wollen. Allerdings, so wird erzählt, haben sich die Schildbürger zunächst nur dumm gestellt, denn sie sind zu dem Schluss gekommen, dass nur die Dummheit sie retten kann. Wenn sie sich dumm stellen, werden sie von den Königen, dem Kaiser und dem Sultan, die alle ihren Rat und ihre Dienste suchten, in Ruhe gelassen.
Die Sammlung der Schildbürgergeschichten entstand 1598. Sie wurde vielfach nacherzählt.
Von ähnlichen Dummköpfen erzählt Isaac B. Singer in „Die Narren von Chelm“. Chelm ist eine erfundene jüdische Gemeinde.
Personen des Spiels:
Minister
Kaiser
Die Schildbürger:
Heiner
Maria
Ludwig
Lena
Frieda
Fritz und seine Frau Anne
Hilde
Mathilde
Margit
Zwei Kinder: Kurt und Anna
Der Vater (A) von Kurt, der Vater (B) von Anna
Der Schweinehirt und seine Frau
Szene I
Die Schildbürger veranstalten einen Flugwettbewerb. Dazu haben sie alle Arten von Flügeln und Flugapparaten erfunden. Heiner hat sich z.B. Federn zwischen die Finger gesteckt, die bei seinem Flug und Sturz alle davonflattern. Ludwig bläst mit aller Kraft in einen Stoffsack, Maria versucht es mit einem Schirm usw. Sie nehmen an einem Hügel Anlauf und versuchen vergeblich abzuheben. Das Spektakel wird begleitet von anfeuernden, schreienden, Beifall klatschenden Mitbürgern.
Szene II
Der Kaiser tut offensichtlich nichts, er streichelt seinen Hund, seine Katze oder spielt z.B. Solitär.
Minister: |
Majestät! |
Kaiser: |
Keine Zeit, keine Audienz, keinen Empfang! Kein Nichts! |
Minister: |
Majestät! |
Kaiser: |
Ich verbiete es, dass er mich stört! |
Minister: |
(schüchtern) Die Schildbürger… |
Kaiser: |
Warum sagt er das nicht gleich? Von den Schildbürgern lasse ich mir gerne berichten. (wohlwollende Geste) |
Minister: |
Majestät, jetzt versuchen die Schildbürger bereits zu fliegen! |
Kaiser : |
Ich will die Narren mit eigenen Augen sehen. Er kündige ihnen meinen Besuch an! |
Minister: |
Sehr wohl, Majestät! - Mit Verlaub, das wird eine Katastrophe! |
Kaiser: |
Ich werde mich amüsieren! – Und er kündige ihnen an: Wenn sich ihre Begrüßungsworte auf meine Worte reimen, erkläre ich Schilda zur freien Reichsstadt! |
Minister: |
Oh, Gott, oh Gott, oh Gott! (bleibt versteinert stehen) |
Kaiser: |
(verscheuchende Handbewegung) Husch! (Minister geht wie aufgezogen raus.) |
Szene III - Versammlung
Heiner |
Ich hab eine schlechte Nachricht. |
Maria |
Die gute zuerst! |
Heiner |
Welche gute? |
Maria |
Heißt das, es gibt keine gute Nachricht? |
Heiner |
Genau! |
Ludwig |
Redeverbot! Redeverbot! (Alle toben vor Freude.) |
Alle: |
(durcheinander) Du bist ein schlauer Kopf, Ludwig! Sehr klug! Grips muss man haben! Hervorragend! |
Lena |
Blödsinn, bringen wir es hinter uns, was gibt es? |
Heiner |
Der Kaiser kommt. |
Maria |
Was will er denn von uns? |
Ludwig |
Hat ihn jemand eingeladen? |
Lena |
Wir schreiben einen Brief, dass wir die Ehre nicht annehmen können. |
Maria |
Wir wollen nichts von ihm, da muss er doch nicht kommen! |
Heiner |
Das ist noch nicht alles. |
Frieda |
Jetzt mach aber einen Punkt! |
Heiner |
Er verlangt von uns eine Antwort auf seine Begrüßungsworte … |
Ludwig |
Das machst du! - (Er spielt das vor.) Grüß Gott, lieber Herr Kaiser! Ich hoffe Sie wohlab zu suchen, großkopfiger Exzentriker. |
Maria: |
Großgnädiger Exzellent, du Dummkopf! – (schmunzelnd) Oder Extrawurst? |
Ludwig: |
Gegrüßet seiet Ihro hoher Würden. Hipp hipp hallo! |
Frieda |
Ludwig, du bist ja ein Redner! |
Heiner |
Unsere Antwort muss sich auf die Begrüßungsworte von der Majestät reimen. – Wenn wir das hinkriegen, will er Schilda zur freien Reichsstadt erklären und uns |
|
die Umsatzsteuer erlassen. |
Lena |
Umsatzsteuer erlassen? Was heißt das? |
Heiner |
Dann müssen wir keine mehr bezahlen. |
Fritz |
Was, die Umsatzsteuer will er uns nehmen, und wir sollen dafür auch noch reimen? |
Maria |
Gegen die hohen Herren bist du machtlos! |
Fritz |
Das heißt, wir müssen reimen. |
Frieda |
Und was hat die Majestät bestellt, soll’s ein Paarreim oder ein Kreuzreim sein? |
Lena |
Von was sprichst du? |
Frieda |
Oder ein umarmender Reim? |
Maria |
Du spinnst ja, das ist viel zu intim! – Stell dir vor, die Majestät mit umarmenden Reimen begrüßen, wer soll denn so was machen?! |
Hilde |
Einer muss reimen, das steht fest. Ludwig, mach du es. |
Ludwig |
Ich? – Nie! Das muss der Bürgermeister machen. |
Alle |
(durcheinander) Genau! Natürlich! Völlig klar! Richtig! Eben!… |
Hilde |
Wer ist das, unser Bürgermeister? |
Heiner |
Oh, oh! Wir haben keinen. |
Frieda |
Dann brauchen wir einen. |
Hilde |
Wer macht’s? |
Lena |
Na ja, wer am besten reimt, wird Bürgermeister! |
Maria |
So soll es sein, wer bis morgen das beste Gedicht gedichtet hat, wird Bürgermeister. |
Szene IV: Verschiedene Personen, Personengruppen reimen:
Frieda, Maria:
Maria und Frieda bei der Fußpflege, ihre Beine in einem Zuber.
Maria: |
Eine Frau als Bürgermeister, das wär’s! - Reime, was das Zeug hält! |
Frieda: |
Einem Versfuß ohne Zeh, |
|
tut kein Zeh nicht weh! – |
Maria: |
Versfuß? Versfuß? So was hab ich nicht!– Käsfuß vielleicht. |
Frieda: |
Ich dichte lange Verse … |
|
Was reimt sich auf „Verse“? |
Maria: |
Schienbein, Knie … |
Frieda: |
Knie? – Nimmer und nie! |
Maria: |
Hör zu: Hier ist mein Reim, |
|
Majestät, geh heim! |
Frieda: |
Bloß nicht! |
Maria: |
Warum, reimt sich das etwa nicht? |
Frieda: |
Schon! |
Maria: |
Na, Bitte! |
Fritz und seine Frau Anne
In der Küche, Anne macht einen Brotteig.
Anne: |
Gibt’s was Neues? |
Fritz: |
Wir sollen reimen. |
Anne: |
Reimen? Wozu soll das gut sein? |
Fritz: |
Wer am besten reimt, wird Bürgermeister! |
Anne: |
Lass die Finger davon! (Fritz wirft weg, was er gerade in die Hand nehmen wollte.) Das ist ein dreckiges Geschäft! |
Fritz: |
Meinst du? - Dann soll reimen, wer will! |
Anne: |
Politik, Politik ist ein dreckiges Geschäft. Du hältst dich da raus! |
Fritz: |
(verschüchtert) Ja, Anne, alles, was du sagst! |
Anne: |
Du willst doch nicht anfangen zu reimen, wo kämen wir da hin? |
Fritz: |
Eben! |
Mathilde und Margit
Die zwei Markfrauen stehen mit ihren Körben völlig alleine herum.
Mathilde: |
So gut wie nichts los auf den Straßen. |
Margit: |
Kein Wunder, die reimen alle. Auf der Ratsversammlung haben sie beschlossen, dass der Bürgermeister wird, der am besten reimt. |
Mathilde: |
Das ist unsere Chance, los wir reimen auch. |
Margit: |
Sind wir denn im Reimen begabt? |
Mathilde: |
Wenn Heiner das kann, können wir das schon lange. |
Margit: |
Bist du dir sicher, dass Heiner reimen kann? |
Mathilde: |
Darum geht es nicht! Wir versuchen es einfach. Wir schreiben etwas über unser Obst und Gemüse. |
Margit: |
Karotten, jeder Bund, |
Mathilde: |
Pfirsiche, jedes Pfund, |
|
Kerngesund! |
Margit: |
Verhindert Gedächtnisschwund. |
Mathilde: |
Warum Gedächtnisschwund? |
Margit: |
Ein bisschen Phantasie muss sein! – Oder Knochenschwund? |
Mathilde: |
Egal! – Hinab den Schlund! |
Margit: |
Einfach genial. |
Mathilde: |
Wir werden gewinnen! |
Margit: |
Haben wir dann zwei Bürgermeister? |
Heiner
Er geht mit einem Kissen auf dem Kopf auf und nieder, hinterm Ohr ein Bleistift, kratzt sich …
Heiner: |
Die Kühe muhen, (sucht Reimwörter)- muhen, ruhen, Truhen, - Quatsch! |
Die Kühe blöken (besinnt sich) - blöken – geht nicht! |
|
Die Kühe bellen, bellen – ja, das ist gut! |
|
Die Kühe bellen mit ihren Schellen! |
|
Und die Hasen |
|
Haben lange Nasen! - Na, bitte, alles nur Übungssache |
Zwei Kinder
In einem Baum sitzend.
Kurt: |
Stell dir vor, mein Vater reimt. |
Anna: |
Meiner auch! |
Kurt: |
Der hat vielleicht eine miese Laune! |
Anne: |
Und meiner stellt sich an, so blöd, ich fasse es nicht! |
Kurt: |
Wir schieben ihnen einen Reim unter! |
Anna: |
Wir tauschen ihr Gedicht gegen unsres aus! – Gute Idee, gefällt mir! |
Kurt: |
Willst du etwa, dass dein Alter Bürgermeister wird? |
Anna: |
Bewahre! Mein alter Herr und Bürgermeister, das wäre eine Katastrophe! |
Kurt: |
Viele hätten was zum Lachen. |
Man sieht die beiden die Köpfe zusammenstecken und schreiben, dabei haben sie einen großen Spaß.
Der Schweinehirt und seine Frau
Sie liegen im Bett mit Zipfelmütze und Betthaube, der Schweinehirt dreht sich, schnaubt, gebärdet sich merkwürdig.
Frau: |
Geb’ endlich Ruhe! |
Mann: |
Ich finde keinen Reim! |
Frau: |
Auf was? |
Mann: |
Ich möchte Bürgermeister werden. Wer am besten reimt, wird Bürgermeister. |
Frau: |
Würde ich dann Bürgermeisterin? |
Mann: |
Wahrscheinlich! |
|
(Frau setzt sich hin, schreibt, knüllt das Blatt zusammen, geht umher, steht Kopf…) |
Frau: |
Hör zu, ich hab’s: |
|
Katrine heißt die Gattin mein, |
|
möchte gerne Bürgermeist’rin sein, |
|
ist schöner als mein schönstes Schwein |
|
und trinkt am liebsten Moselwein. |
Mann: |
Du bist ein Genie! |
Frau: |
So, jetzt lernst du das auswendig! |
|
(Sie gehen im Zimmer auf und ab, sie spricht vor, er spricht nach…) |
|
(Filmschnitt: zwei Stunden später: beide sind völlig erschöpft, hängen z.B. nur noch über dem Tisch…) |
Mann: |
Ich glaub, ich kann’s! |
Frau: |
Was hab ich doch für einen klugen Schatz! |
Mann: |
Schmatz! |
Frau: |
Nix, Schmatz! |
Mann: |
Mach kein Rabatz! |
Szene V
Die Schildbürger haben sich versammelt, um ihre Reime vorzutragen, Publikum buht aus, applaudiert usw.
Ludwig: |
Der Reimmeister wird Bürgermeister! Heiner, fang an! |
Heiner: |
Schnecken verrecken, |
|
Ziegen fliegen, |
|
Asseln quasseln, |
|
Affen gaffen, |
|
Heiner mag keiner! |
Alle: |
Genau! Buh! Blablabla! Raus, keine Chance! Schlecht! Pfuipfui! |
Vater B: |
(liest vor, wird zunehmend verwirrt, Kinder im Hintergrund feixen, freuen sich) |
|
Ich bin der Schlauste in der Stadt, |
|
Und werde nie und nimmer satt! |
|
Fresse mich voll und voller |
|
Und werde rund rum toller! |
|
Verdammt, das hab ich doch nicht geschrieben! (Die Kinder im Hintergrund feixen.) |
Maria: |
Drum, das ist viel zu gut! |
Vater A: |
(hat einen Zettel in der Hand, liest ab) |
|
Das Zepter ist viel zu kurz, |
|
Der Kaiser lässt einen Furz! |
Alle: |
(grölen vor Lachen) Franz, du musst Bürgermeister werden! |
Vater A: |
Woher kommt das, verdammt! (Alle grölen vor Lachen, die Kinder freuen sich) |
Mathilde und Margit
Mathilde: |
Wir haben uns verkracht, wir wissen nicht, wer von uns beiden Bürgermeisterin werden soll. |
Margit |
Wir würden es bestimmt werden. Aber die Mathilde … |
Mathilde: |
Quatsch, du, du bist doch … (Kickt Margit.) |
Margit: |
Miststück! |
Mathilde: |
Sag das nie mehr! |
Der Schweinehirt und seine Frau
Mann: |
(schnarcht) |
Frau: |
(stößt ihn unsanft in die Rippen) So, jetzt gehst du raus. |
Mann: |
(geht vor, stolz) |
|
Meine Frau, die heißt Katharine |
|
Wär’ gerne Bürgermeisterin, |
|
Ist schwerer als das schwerste Schwein |
|
Und trinkt am liebsten Bayrisch Bier. |
Alle: |
(Applaus, durcheinander) Prima, spitze, gut, gut, ja so was! … |
Frau: |
(drohend) Komm mir ja nicht nach Hause, sonst erlebst du dein blaues Wunder! |
Szene VI
Die Schildbürger haben sich zum Empfang des Kaisers zusammengerottet, man merkt, dass sie was im Schilde führen.
Kaiser: |
Wir grüßen euch, Bürger von Schilda! |
|
Ich erwarte von euch einen Reim! |
Alle: |
(laut skandierend) Majestät, geh heim! Majestät, geh heim! Majestät, geh heim! Majestät, geh heim! |
Alle stürmen schnell weg, verschwinden hinter der Kirche, dann spicken sie vorsichtig hervor, um zu sehen, wie sich der Kaiser verhält. Dieser geht ab. Die Schildbürger kommen hervor und freuen sich, sind ausgelassen, sie machen eine Musik, tanzen, trinken und genießen ihr Leben.