Café

© Franziska Freihart

Diese Szene thematisiert die Diskrepanz zwischen dem, was in einem Dialog einerseits gedacht und andererseits gesagt wird. Hinter den drei Spielpaaren stehen quasi deren Gehirne, die die Gedanken der Personen laut werden lassen, was die Akteure nicht wahrnehmen, nur die Zuschauer. (Die Szene mag zu vielfältigen Varianten animieren.)

Personen: eine ruppige, unfreundliche Bedienung; eine skurrile Person (Sonstige: siehe unten)

Tisch 1

Junger Mann, eine junge Frau betritt das Café, sie erkennt in ihm den ehemaligen, wenig geschätzten Schulfreund.

DM = Denkender Mann,

SM = Sprechender Mann

DF = Denkende Frau,

SF = Sprechende Frau

 

DF:

Der! Hoffentlich sieht er mich nicht, das ist doch der Max? Matze? Mike? Irgendetwas mit M auf jeden Fall. Nein, er schaut rüber.

(SF schaut um sich.) Zeitungsständer, Schirmständer, Beistelltisch, oh nein, nichts zum Verstecken!

SF:

(freundlich) Ach hallo!

DM:

Wow, das ist eine heiße Schnecke geworden. Hat sich echt gemacht die kleine Sandra.

SM:

Hallo, Sandra. (Küsschen links, rechts) Wie geht es dir denn? Dich hab ich ja seit Jahren nicht gesehen. Bombastisch siehst du aus.

DF:

Verdammt. Er weiß tatsächlich meinen Namen noch. Max, ja, ich tippe auf Max.

SP:

Ja, ähm, mir geht es gut und dir… Max?

DM:

Naja, Matze, aber macht ja nichts, bei so‘ner Schönheit drücke ich ein Auge zu. Mit heimnehmen würde ich sie schon gern. - Kaffee tut’s fürs Erste auch.

SM:

Na, Lust auf einen Kaffee? Ich lade dich ein.

DF:

Keine Zeit, keine Lust! Mit diesem Proll doch nicht. Früher hätte er mich nicht mal angeschaut. Tz der, der nein…

SF:

Ja klar, echt nett von dir. Danke schön.

SM:

(zur Bedienung) Zwei Espresso Amaretto!

Bed.:

Was ’n das? Darf’s auch ein Cappuccino sein?

SM:

(protzig) Due! Capito?

Bed.:

Ich seh mal nach, was sich machen lässt.

Tisch 2:

DM2 = Denkender Mann,

SM2 = Sprechender Mann (Wissenschaftler)

DF2 = Denkende Frau,

SF2 = Sprechende Frau (dessen Gattin)

 

SF2:

(klopft ihn an) He, hallo, hier bin ich, mein Schatz! - Das ist direkt peinlich, wie du der Bedienung nachstarrst!

DM2:

Die Leier wieder! Das Gezicke nervt!

SM2:

Ich sehe ganz allgemein in diese Richtung!

DF2:

Dass ich nicht lache! Stinktier!

SF2:

Du gaffst der Bedienung auf den Hintern!

DM2:

Knackig! Nicht übel! A nice handful!

SM2:

Das ist ein geschlechtsspezifisches Wahrnehmungsphänomen. Du unterliegst einer vorurteilsbehafteten Bewusstseinstrübung! Hochinteressant, aber unhaltbar.

Ich habe lediglich Augen für dich, mein Schatz!

DF2:

Geschlechtsspezifisches Wahrnehmungsphänomen also. Aber ich wollte ja nicht auf meine Mutter hören, ich musste ja diesen verkrachten Wissenschaftler

heiraten!

 

Tisch 1:

DM:

Ich darf gar nicht drandenken, wie sie früher ausgesehen hat. Die kleine Sandra mit Zahnspange und Pickelgesicht. Furchtbar!

SM:

(nähert sich ihr an) Ich muss schon sagen, du bist echt hübsch geworden. Die Männer stehen bestimmt Schlange bei dir. Diese funkelnden Augen!

DF:

Bitte, was war denn das für ein Spruch. Absolut Dr.-Sommer-like. Ich schmeiß mich weg. Noch so einer und ich lach‘ mich tot.

SF:

Ich fühle mich echt geschmeichelt. Lieb von dir. Danke schön.

DM:

Volltreffer. Die hat angebissen. Nachdenken, nachdenken, vielleicht fällt mich noch so einer ein.

SM:

Als du auf die Welt kamst, hat der Himmel geweint, weil er seinen schönsten Engel verloren hat.

DF:

Uh! Echt peinlich! Blöder Schleimer! Jetzt weiß ich, warum er früher nur die dummen, kleinen Mädchen gekriegt hat. Die stehen auf so einen Kram.

Bed.:

Due Cappuccini!

SF:

(prustet los) Schätzchen, auf so einen Mist steh ich nicht! Total nett, dich mal wieder gesehen zu haben. Guck mal im Internet unter www.erfolgreich flirten.de.,

 

anstatt hier irgendwelche (macht mit den Fingern Anführungszeichen) hilflose Frauen anzubaggern. Ciao.

DM:

Blöde Kuh!

SM:

(gekränkt) Ach ja, Matze, nicht Max, ja nicht vergessen!

 

Tisch 2:

SF2:

(zur Bedienung) Einen Prosecco, bitte!

Bed.:

(hat eigentlich nichts zu tun) Moment, Moment, ich tu ja schon, was ich kann!

SF2:

(zu ihrem Mann) Ich war shoppen.

DM2:

Muss mich das wirklich interessieren?

SM2:

Großartig! Ich hoffe, du hast unsere finanziellen Kapazitäten nicht überstrapaziert!

DF2:

Also bitte, ich bin diejenige, die das Geld ins Haus bringt.

SF2:

Zwei Kleider, im Schlussverkauf runtergesetzt.

DM2:

Wofür braucht sie all die Klamotten?

SM2:

Ich hab eine neue Versuchsanordnung erstellt.

DF2:

Zum hundertsten Mal, und ganz gewiss wieder immens relevant.

SF2:

Guck mal! (Sie hält ein Kleid vor sich hin.)

Bed.:

Hab ich „Heute Modenschau“ plakatiert?

SF2:

Welches gefällt dir besser? (hält die Kleider vor sich hin) Das Grüne oder das Rote?

DM2:

Ihr fehlt der Blick aufs Wesentliche!

SM2:

Beide.

DF2:

Es interessiert ihn nicht.

SF2:

Welches steht mir besser?

DM2:

Sie zeigt bereits neurotische Symptome.

SM2:

Blau hat gesellschaftlich betrachtet eine weit höhere Akzeptanz als jede andere Farbe, was die Genese von Attraktivität und Wahrnehmung betrifft.

DF2:

Manchmal möchte ich ihn erwürgen!

SF2:

(spitz) Ich weiß nicht, wie ich mich ohne deinen theoretischen Unterbau je kleiden könnte!

DM2:

Hör ich da einen ironischen Unterton? Einlenken!

SM2:

Ich liebe dich in jedem Kleid!

DF2:

Heuchler!

SF2:

Schatz, du bist mein bester Schatz!

DM2:

Volltreffer! (Sie küssen sich.)

Bed.:

Ihr Prosecco!

SM:

Und ich?

Bed.:

Sie haben nichts bestellt! Also, zweimal lauf ich nicht hin und her.

 

Tisch 3:

SV = Sprechender Vater

DV = Denkender Vater

ST = Sprechende Tochter

DT = Denkende Tochter (etwa 15 jährige Schülerin)

 

SV:

Und, wie war’s heute in der Schule?

DT:

Super Thema!

ST:

Wie schon? Wie immer.

DV:

Aha, das Fräulein blockt und bockt mal wieder.

SV:

Habt ihr die Mathearbeit rausgekriegt?

DT:

Wenn ich sage, dass ich eine Fünf hab, flippt er wieder aus. Dann will er heute Abend Mathe mit mir lernen und er checkt es doch selber nicht!

ST:

Ne!

DV:

Ich weiß, dass es wieder eine Fünf war, ich hab dem Huber doch angerufen, du kleines Biest!

SV:

(etwas hinterhältig) Der Huber korrigiert doch immer schnell, komisch!

DT:

Du nervst!

ST :

(schnell) Der Huber ist krank !

DV:

(zerknüllt eine Serviette, sichtbarer Ärger) Man müsste sie verschütteln und in den Schrank sperren, bis die Pubertät vorbei ist!

SV:

(triumphierend) Ich hab mit dem Huber telefoniert.

DT:

Shit, shittiger Shit!

ST:

Was soll das? Hast du kein Vertrauen zu mir?

DV:

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

SV:

Vertrauen zu dir? Du hast mich angelogen!

DT:

Warum wohl? Den Terror hält doch keiner aus!

ST:

Mathe liegt mir halt nicht. Wer braucht denn den Kram?

DV:

Das hatten wir bereits hundertmal.

SV:

Du! Begreifst du das nicht?

DT:

Blablablablablabla!

ST:

Ne, ich bin ja blöd!

DV:

Herr, gib mir Geduld! Mehr, noch mehr! Mehr!

SV:

Ich hab dir eine Nachhilfe organisiert.

DT:

Jetzt dreht er völlig hohl!

ST:

Ich werd‘ wohl gar nicht mehr gefragt, was?

DV:

Die Dankbarkeit halt ich nicht aus!

SV:

Warum? Kriegt man von dir irgendwann mal eine vernünftige Antwort?

Bed.:

Nehmen Sie auch was oder sitzen Sie hier nur rum?

SV:

Einen Cognac!

Bed.:

(zu Tochter) Und du?

ST:

(muffig) Fragen Sie doch meinen Vater!

Bed:

Ohoh! Feuer unterm Dach, was?

SV:

Jetzt reicht’s! (steht auf, zerrt die Tochter mit sich)

Bed:

Einen schönen Abend noch! (holt den Staubsauger) So, wir haben uns jetzt lange genug hier aufgewärmt! (Macht den Staubsauger an, Gäste bruddelnd ab.)